Tierisch im Stress: Der Säbelzahntiger und das Erdmännchen

10.000 Jahre vor unserer Zeit. Winter. Es ist bitterkalt. Ein einsamer Neandertaler streift auf der Suche nach einem Lagerplatz für seine Sippe durch eine Graslandschaft in der Nähe des heutigen Gelsenkirchen. Schlagartig verändert sich die Stimmung. Noch bevor das Knurren des ihn verfolgenden Säbelzahntigers zu hören war, schüttete der Körper unseres mittlerweile ausgestorbenen Helden im Moment eines Lidschlages Adrenalin aus.

Natürlich wusste er nicht, dass es so etwas wie Adrenalin gab. Er kannte auch den Begriff „Stress“ nicht. Aber er wusste instinktiv, dass er eine für seine körperliche Unversehrtheit recht wichtige Entscheidung zu treffen hatte: Flucht oder Angriff. Sein Körper stellte sich auf beides ein und pumpte reichlich Blut in Arme und Beine.

Wie diese Geschichte ausgegangen ist, wissen wir nicht. Aber dass Sie das Gefühl unseres Protagonisten nachempfinden können, ist mehr als anzunehmen. Denn in unserem Land fühlen sich laut Umfragen immer mehr Menschen gestresst oder vom Burnout bedroht, schon ist die Rede von einer Stressepidemie, was dankbar von allen Medien aufgegriffen wird und mit ziemlicher Sicherheit kennen Sie das auch aus eigener Betroffenheit.

Das Modell des Neandertalers, der auf einen Säbelzahntiger trifft, ist ein Altbekanntes. Es verdeutlicht in einfachster Form, dass wir das Produkt einer evolutionären Entwicklung sind. Auch wenn der heutige Mensch nicht vom Neandertaler, sondern vom Homo Sapiens abstammt, ändert es nichts an dem kleinen Wunder der Natur, das wir Stress nennen.

Jeder kennt diesen Moment, in dem man sich zwischen Flucht oder Angriff entscheiden muss. Das Problem: Es empfiehlt sich nicht, unangenehme Vorgesetzte im Verlauf einer gehässigen PowerPoint-Präsentation anzugreifen oder den Raum fluchtartig zu verlassen, sofern man an seinem Arbeitsplatz hängt, sei es auch nur, um seine Miete durch die Erbringung einer geldwerten Leistung zu begleichen.

Fachlich ist „Stress“ eine akut auftretende und als bedrohlich eingestufte Situation, die eine sofortige Handlung erfordert. Er aktiviert den gesamten Organismus und ermöglicht körperliche, wie geistige Leistungen, die rekordverdächtig sind. Genaugenommen ist Stress ein Problemlösesystem für schwierige Herausforderungen, die es aus eigener Kraft zu bewältigen gilt.

 

„Sie haben 45 Minuten, um alle Fragen zu beantworten.“

Stress zu empfinden ist natürlich, gut und wichtig. Wird er allerdings nicht kanalisiert, weil weder die Option „Flucht“ oder „Angriff“ besteht, wird aus einem überlebenswichtigen Instinkt eine Falle: negativer Stress bahnt sich mit allen Konsequenzen seinen Weg. Jeder, der schon mal in eine Prüfung gehen musste, auf die er denkbar schlecht vorbereitet war, kennt das Gefühl des negativen Stresses.

Unser Leben heute wird bestimmt von selbstauferlegten und aufgezwungenen Aufgaben, die es Tag für Tag zu bewältigen gilt. Termine jagen uns, wie einstmals der Säbelzahntiger unseren Neandertaler. Solange die Aufgaben zeitlich und sachlich zu bewältigen sind, ist alles in Ordnung. Schließlich haben wir zwischen den Aufgaben unsere Entspannungszeiten, in denen unser Körper wieder Frieden findet.

An dem Punkt aber, an dem die eigenen Kapazitäten als nicht mehr ausreichend zu Erledigung erlebt werden, treten massive und schädigende Stresssymptome auf, die bis zum Zusammenbruch führen können.

 

Nutze den Tag. Oder: Genieße die Langeweile.

Der heutige Lebensstil basiert auf einer Grundeinstellung, die in hohem Maße darauf ausgerichtet ist, viel zu erleben, die eigene Selbstentfaltung voranzutreiben, Freude und Spaß zu haben, das Leben im Hier und Jetzt nach Möglichkeit auszuschöpfen und zu genießen. Carpe diem! Das kann dazu führen, dass zu hohen beruflichen Anforderungen eine Vielzahl weitere Aktivitäten kommen. Der moderne Mensch zeigt sich sowohl im Berufs- wie Privatleben als äußerst aktiv, produktiv und leistungsfähig. Die Phasen der Entspannung, die Muße treten in den Hintergrund. Stress wird zu einem Indikator für Leistungsfähigkeit und sozialen Status und somit paradoxerweise zu einem Merkmal für das, was als normal,  gesund und attraktiv angesehen wird. Stress gehört dazu, wenn man dazugehören will.

In einer sich schnell drehenden Welt, die geprägt ist von Arbeitsplatzunsicherheit und anderen wirtschaftlichen und persönlichen Unwägbarkeiten ist Stress der ständige Begleiter, der nicht zur Ruhe kommt. Unser zutiefst menschliches Streben nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Kontinuität steht im täglichen Kampf mit dem Stress und lässt kaum Handlungsspielräume, um die scheinbar verfahrene Situation zu verändern.

 

Wenn der Säbelzahntiger zum Meeting kommt.

Sie haben Mails. Das Telefon klingelt. Sie gehen ran. Das Handy klingelt auch, sie makeln das Gespräch. Der Eingangsordner quillt über. Der ganz normale Wahnsinn hat heutzutage Methode und unsere Arbeitsplätze sind gekennzeichnet durch unsere Verpflichtung, multitaskingfähig zu sein. Viele verschiedene Aufgaben und Informationen aus unterschiedlichen Quellen und Kommunikationsmitteln ringen um Ihre Wahrnehmung und verlangen nach ständiger Verfügbarkeit und einer breit gestreuten, eher oberflächlichen Aufmerksamkeit.

Ihr Gehirn und damit Ihr Organismus befinden sich in ständiger Habachtstellung vor dem Säbelzahntiger der Neuzeit. Es handelt sich hierbei um eine gänzlich andere Art von Stress, der wie ein Gefahrensuchsystem in Daueraktivität funktioniert, vergleichbar mit einem Erdmännchen, das hochaufgereckt mit ruckartigen kleinen Bewegungen permanent sein Umfeld nach möglichen Feinden absucht.  Die Hirnforschung bezeichnet dieses Stresssystem als „Default Mode Network“, kurz „DMN“. Ist das DMN dauerhaft aktiviert, wirkt sich das negativ auf die Konzentrations- und Merkleistung, sowie auf konkrete Problemlösungsfähigkeiten aus und kann psychisch krank machen.

Aber statt diesem Stress aus dem Weg zu gehen, tun wir alles, um diesen noch zu potenzieren. Die Smartphones, Tablets und andere vernetzende Tools  sind da beredtes Zeugnis. Wir erlauben dem Stress, unser Berufs- und Privatleben zu dominieren und beweisen ständige Verfügbarkeit in sozialen Netzwerken und anderen Fallgruben.

 

Dem Stress die Zähne zeigen.

Wir leben also in einer Umwelt, in der Stress in hohem Maße, insbesondere auch in der Arbeitswelt strukturell angelegt ist. Diese Bedingungen betrachten wir weitgehend als normal; wer nicht „gestresst“ ist, macht was falsch …

Es existiert eine Reihe von Angeboten zur Stressreduktion, inzwischen bieten auch viele Unternehmen – aufgerüttelt durch die explodierenden Fehlzeiten durch stressbedingte oder psychische Erkrankungen interne Programme zur Stressprophylaxe an. Die meisten dieser Angebote beziehen sich auf körperliche Fitness, wie Sport oder Ernährungsberatung, zum Standard gehören ebenso Entspannungsübungen, sowie das Training sozialer Kompetenzen, um in sich wiederholenden Stresssituationen adäquater handeln zu können.

Diese wertvollen Angebote berücksichtigen primär eine allgemeine Gesundheitsprophylaxe und die Problematik der akuten Stresssituation („Säbelzahntiger-Stress“),  in der Abreagieren, Entspannung und Ressourcenaufbau hilfreich ist.

Die zweite Stressproblematik der dauerhaften Habachtstellung  („Erdmännchen-Stress“) wird aber nicht explizit berücksichtigt. Hier ist neben Entschleunigung und Abschalten und zum Teil suchtähnlicher Entwöhnung vor allen Dingen wichtig, sich mit der Frage nach den Wertigkeiten und dem Sinn im eigenen Leben auseinanderzusetzen.

Das müssen Sie aber nicht alleine tun. Gerne stehe ich Ihnen zur Seite, wenn Sie lernen wollen, wie man dem Stress die Zähne zeigt.